Bin am Dienstagabend eine Stunde geradelt, um 15 Minuten vom Konzert des Cloud Rappers Denzel Curry zu erleben. Hat sich gelohnt!
1. Mich interessierte vor allem der Sound: wie mischt der Tonmensch einer amerikanischen Produktion heute ein Rap-Clubshow? Ich fand es angenehm bassig, mit der Stimme klar im Vordergrund. Erstaunlicherweise wurde das hochfrequente Trap-Geklapper in den Hintergrund verbannt.
2. Deswegen habe ich mich vom Platz des FOH Mischers entfernt, ah und plötzlich hörte ich die typischen, schnellen Subdivision Variationen immer deutlicher??? Letztlich kam sie von einem motivierten Dude hinter der Theke. Zwei Messer können klanglich ganz schön durchschneiden, zumindest sich in der rechten Hälfte der Frankfurter Union-Halle bemerkbar machen…
3. Für den Übertrag eines live-tauglichen Bassdrum-Konzepts merke ich mir: lange, boomige 808 Kicks sollte nicht polyphon getriggert werden und gehören in die Mute-(oder Sidechain-) Group mit der Snare (also von deren Akzenten stummgeschaltet). So wird der Matsch elegant umfahren.
4. Die Masse hüpfte, schwitzte und war glücklich. Konzertziel eindeutig erreicht. Dennoch finde ich persönlich das Gebinde Rapper plus DJ für den Konzertrahmen nach wie vor dürftig und ganz schön langweilig. Wenn dann der DJ auch noch in jedem Track den immer gleichen (zudem schmerzhaft lauten) Pistolenschuß abfeuert, bin ich dreifach genervt: das ist nicht nur unkreativ und unmusikalisch, der Aufmerksamkeit generierende Effekt nutzt sich auf diese Weise rasant ab. Hey, und warum immer: Waffen?
wieder mal Juicy Fruit Vibe… aber eins a Hook Gesang, super Outro Move – finde ich ich
Und ich checke den Londoner Drummer Malcom Catto (Tim von Johann Polzer) und fotografiere aus Andreas Kunstbuch den „Schatten der Unendlichkeit“ (von Klaus Heider) ab:
Im taz-Interview („Überfluss nimmt Freiheit“) haut der Zeitwohlstandsforscher Gerrit von Jorck ein paar treffende Sätze raus: >>In dieser [Überflussgesellschaft] fehlt uns häufig die Zeit, richtig zu konsumieren. Also: Das, was wir erworben haben, auch zu nutzen […] damit eine Sache Nutzen stiften kann, muss ich Zeit mit ihr verbringen […] Zunächst einmal müssen wir die Zeit, die wir mit Erwerbsarbeit verbringen oder verbringen müssen, reduzieren. Und wir müssen die Arbeit entdichten, also den Stress und den Druck reduzieren. Dadurch wird Arbeit befriedigender und weniger erschöpfend und die Menschen haben Kapazitäten, ihre Freizeit jenseits des materiellen Konsums zu gestalten, ihre Interessen und Kompetenzen wahrzunehmen.<<
Und so teile ich meine kleine Schatztruhe vom ersten Mai, für die Du lediglich Zeit brauchst.
Darin befindet sich ein neu entdecktes Interview mit meinem Lieblingsdrummer und Lokomotivführer Helge Norbakken. Überlagerung scheint das Große Thema zu sein. Die Kombination unterschiedlicher Schlagmaterialien, das Schichten verschiedener Klangfarben bzw. das Vergrößern/Verzerren („distortion“) eines Sounds („two sticks in the hand for the impression that there are more players“), die Transformation der Klangfarbe („from tonal to abstract“):
Im zweiten Teil geht’s um die Sabar Familie, den Trommel Sound aus dem Senegal. (Verrückt genau diesen Instrumenten Namen hatte ich noch vorgestern vermisst, als ich Roland Peil von Ndagga Rhythm Force erzählt hatte.) … Kontraste, Polyphonie, Wellen & „beautiful attacks“… dank gemeinsamer Trommelmusik!
Auch wenn bei Norbakken ein zugemischter Hall als verbindendes Element wunderbar fungiert, feiere ich die herausstechenden Zweiträume des Dub-Vermächtnisses ebenso. Zack, bin ich bei meinem Highlight des nächtlichen Jams in den Mai, die von Michael Rütten aufgelegte Colourbox Scheibe „Baby I Love You So“ (1986).
Schließlich noch Scofields „Blue Matter“ in der Hamburger Fabrik. Harmonien zum (Weiter-) Träumen… (denn im Sommer desselben Jahres durfte ich der Band in meiner Heimatstadt als Stagehand dienen, Dennis Chambers während des Gigs aus allernächster Nähe beobachten und nach dem Abbau mit Gary Grainger noch Pfannenkuchen verspeisen)
Ausgehend vom Jazz Popcorn Robot, jener Zufall-Musikroboter-Kombination von Moritz Simon Geist, bei der aus der Bratpfanne springende Maiskörner Klänge auf dem Schlagzeug auslösen…
… liste ich mal inspirierende Drum Solos auf. Und markiere hinter dem + Zeichen deren Besonderheit:
Papa Jo Jones (1964) + Charme, super Dynamik und ein zweites Standtom neben der Hihat.
Clyde Stubblefield (1968) + reines Groove-Solo mit zwei Parts, dirigiert von James Brown
Elvin Jones (1968)
Ron Bushy „In A Gadda Da Vida“ (1968) + meine erste Schallplatte mit Drumsolo (war natürlich ein Geschenk von jemandem der wusste, dass ich trommle)
John Bonham „Moby Dick“ (1970) + laaang, Entertainment: Passage nur mit Händen, Setup mit zwei Congas & Gong
Buddy Rich (1970) + Rudiments, Rhythmuspyramide, extreme Dynamik, Optik (Becken/Hihats von oben und unten; zweites Standtom als Ablage) -> Buddy Rich Snare Solo (1969)
Billy Higgins (1975) + Mallets (beide Seiten!), Dynamics, fast Kickdrum Pulse, Call & Response – super Mikrofonierung
Billy Cobham (1976) + Power, Special: Rim Melodies, Optik (riesiges, durchsichtiges Fibes Kit mit zwei strahlend gelben North Hörner) -> Völlig umgehauen und nachhaltig beeinflusst hat mich das 1975er Album „A Funky Thide of Signs“. Klar, schon auf „Spectrum“ wurden elektronische Elemente (Synth-Sequenzen, hier und da Effekte im Mix) mit dem Trommelspiel verwoben, aber jetzt tauchte ich in eine wunderbare neue Klangwelt ein, ins Zusammenspiel von Drumgrooves und Delay-Maschinen! Check das Echo-Solo: „A Funky Kind of Thing„
Terry Bozzio (1977, „Baby Snakes“ (VHS) A Movie About People Who Do Stuff That Is Not Normal – Starring: Frank Zappa) + Q & A, Show (teilweise im Stehen), Styling (nur mit knapper Badehose? bekleidet), Electronics (Pollard Syndrum Quad 478)
Alex Acuna (1984) + drums & percussion
Steve Gadd (1984) + voller Körpereinsatz!
Steve Gadd (2008) + groove & legacy licks
Helge Norbakken (2008) + unikates Drums/Percussion Setup (mit aufgestellter Basstrommel, kleinem Roto Tom für den rechten Fuß, Djemben, Kessings und Autofelgen) und Beatboxing!
Chris Dave (2012)
René Creemers (2016) + story telling, Trommel-Melodien, Fake Echoes
Günter Baby Sommer (2017) + tonal, überraschend eigen -> beeindruckend auch sein Solo-Beginn bei dem kein einziges Instrument berührt wird…
Zach Danziger (2017) + Schlagzeug plus (Clicktrack-frei) getriggerte elektronische Samples und Film-Schnippsel. Reaktiv!
Jojo Mayer „A Plea For Improvisation“ (2020) + Sprechen und Trommeln = Vortrag und Musik!
Habe mir zwei alte Dave Weckl Drumsolos angeschaut zwischen denen 10 Jahre Weiterentwicklung langen (wobei die Aufnahme Nr.1 aus 1986 schon dem Zeitpunkt seines ersten Karrierhöhepunkts entspricht). Spannend!
Desweiteren zwei aktuelle Schlagzeuger-Alben: Einmal „Trippin'“ das (eben mit dem Deutschen Jazzpreis prämierte) Werk des Wahlberliner Drummers Mathis Grossmann aka Magro und dann noch jene 21 Minuten, die Abe Rounds über das Thema „The Confidence To Make Mistakes“ trommelt.
PS. volle e-Beats via Yamaha-Pads gibt’s im ersten Weckl-Video ab 22:35′. Dave triggert dabei zwei Soundquellen, den Sampler TX-16 und die RX-5 Drum Machine via Midi-Expander PMC-1, die sich vielversprechend layern lassen. Elektronische Becken waren damals (immer noch) kein Thema…
Valzhyna Mort schreibt: >>Silence beats language out of us<<. So mancher Schlagzeuger kann grandiose Geschichten erzählen, die Großmeister trommeln sie. Hier eine spezielle Auswahl dreier Solo-Erzählungen von René Creemers, Al Foster und Ndugu Chancler. Wobei alle drei Filmchen mit der gleichen optischen Besonderheit aufwarten, nämlich dem in der Sonnen-Position nahezu senkrecht aufgehängten Ride-Becken:
1. Ein Ausschnitt aus dem 1994 produzierten VHS-Video „A Matter of Pride“ (das auch als öffentliche Bewerbung für Sting fungierte).
2. Al Foster mit Hut hinterm ASBA Kit, 1980 mit dem Sonny Rollins Quartet:
Nun möchte auch ich noch drei Veranstaltungen aufschreiben, bei denen ich mit Mund und Stöcken erzählen darf: 1. „Jazz is our democracy“ Wie ist es möglich, dass einander fremde Musikerinnen und Musiker aus den verschiedensten Winkeln der Welt zusammenkommen und auf der Bühne gemeinsam improvisieren? Und kann unsere Demokratie davon etwas lernen, z.B. wenn es darum geht, gemeinsam gesellschaftliche oder ökologische Probleme zu lösen? Am Freitag, den 6. Mai gibt’s ab 18 Uhr im Kunstverein Familie Montez (Honsellstraße 7, 60314 Frankfurt) Talks und Musik zur Relevanz des Jazz für die demokratische Gesellschaft.
2. Backbeat Drum Festival vom 08. – 11.06. Sebastian König hat im Herzen des Kaiserstuhls (nochmals: Sonne!) ein spannendes Schlagzeug-Event auf die Beine gestellt (mit Pitti Hecht, Murat Coskun, Raphael Kofi, Marvin Blamberg, Uwe Meusel, Sebastian König)
Last but not least der Link zum aktuellen d&p Schlagabtausch Podcast von Timo Ickenroth und Dirk Brand, in der ich tollerweise über die Ukraine-Spendenaktion berichten durfte (anschließend dafür gelobt wurde, auf dass ich beim Nachhören knallrot angelaufen bin):
Fuck, Oliver Taylor Hawkins ist tot. Das fällt einem gerade mal 18 Tage älteren Oliver-Trommler nicht leicht zu tippen… Ich erinnere mich gerne an das New Pop Festival 1995 mit Alanis Morissette als ich Taylor erstmals in Aktion sah – welch beeindruckend körpersprechender Drummer, dessen Sound man sogar hört, wenn der Fernsehton abgeschaltet ist! Aus dieser Zeit ein Mitschnitt vom Pink Pop Festival. Ist nicht nur schöne Erinnerung, sondern passt irgendwie auch zu den derzeitigen Entgleisungen (Putins Kriegstreiben, Will Smiths Oscar-Ohrfeige): Hey, drescht eure Wut doch in ein extrem explodierendes China-Becken (und versucht anschließend eure Probleme rein sprachlich zu regeln)…
Vor knapp zwei Jahren hatte ich schon mal einen Beitrag zu Drummer Dennis Davis vorbereitet, jetzt – nachdem wir letztes Wochenende mit Bowie Gitarrist Mark Platiein Live-Set der Berlin Alben „Low“ und „Heroes“ auf die Beine gestellt hatten, passt die Veröffentlichung perfekt:
>>There’s much to love about every drummer who played behind David Bowie. From Mick Woodmansey’s workmanlike chops to slick groove merchants like Andy Newmark and Omar Hakim to Mark Guiliana’s envelope-pushing concepts, all did amazing work with Bowie. It’s a useless exercise to attempt ranking them—though you could make a pretty good argument that of all the drummers to play with Bowie, no one covered as much ground as Dennis Davis. […] Cue up any Bowie song from that era, and the drumming will blow you away. Two particular highlights among dozens: The smooth transitions into and out of the two-handed 16th-note hi-hat patterns and the halting syncopated fills on Station to Station’s “Stay,” and the “Heroes” deep cut “Blackout,” where Davis twice stops the hard-hitting groove cold to drop in crazy conga-tom-snare combinations.<< Schreibt der Modern Drummer.
Als ich unsere vorzubereitenden Tracks erstmals durchhörte, war ich ehrlich gesagt etwas überrascht, ob der eigenwilligen Arrangements, Endings und auch die spezielle Platzierung von Davis‘ FIll-Ins. Aber hey, beim Proben machte alles nach und nach Sinn.
Am 28.02. hatte sich ein fürchterlicher Unfall auf der A8 ereignet, der zwei tolle Mannheimer Musiker – Christian Huber und Jörg Teichert – urplötzlich aus dem Leben riß. Den Schlagzeuger Christian hatte ich persönlich nie getroffen, aber ein paar mal vertreten, dadurch seinen eigenen Groove schätzen gelernt, der gerne auch durch perkussive Teilchen oder gar elektronisch verfeinert wurde. Darüber hätte ich mich liebend gerne noch mit ihm unterhalten! Der Bassist „Schlapbe“ hat eine GoFundMe Kampagne für Christians Ehefrau und seine drei Kinder (12,10,4 Jahre alt) eingerichtet. Mit Jörg Teichert konnte ich durch solch einen Aushilfsjob ein, zwei mal im Koblenzer Theater spielen und fand ihn toll! Macht’s gut, ihr beiden!