Ulf schickt mir – passend zum Corona-Isolierzimmer – den Link zum Hörspiel von Heinrich Bölls Satire „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen„. Es ist toll – liebvoll gemacht, angenehm unterhaltsam und regt die eigenen Gedanken (jenseits der schulmeisterlichen Einordnung) an.
Mir gefällt vor allem der Tabubruch, teures Bandmaterial mit „Stille“ zu bespielen oder den aus Aufnahmen entfernten Leerlauf zu sammeln, um all jene Schnipsel schließlich zu einer beruhigenden Detox-Klangcollage zu verbinden. … der Klang der Stille, Sound of the Break, die Pause, Mute – immer eindeutig das Gegenteil von Sound, aber notwendige Grundlage von Rhythmus und Musik…
Aber auch das Thema der (opportunen) Sprachkorrektur ist hochaktuell. Denn so sehr ich linguistische Bedachtheit und sprachliche Feinheiten schätze, graut es mir vor Dogmatismus und Schwarz-Weiß-Regeln ohne Grautöne…
Dass ich ebenfalls gerne die Beinahe-Stille sammle, zeigt dieser Filmschnipsel aus dem Hotel Usbekistan. Ein kurzer Moment (klein bisschen mehr als ein film still) aus dem 17. Stockwerk mit einem für die WM trainierenden Boxer und Blick aus dem geöffneten Bar-Fenster nach unten…
Immer schon interessierte mich brennend, ob es einen formelhaften Bezug für erhöhte Körpertemperatur (Fieber) und die Herzfrequenz (bpm) gibt. Und tatsächlich spuckt die Googlesuche diesbezüglich ein ungefähres Verhältnis aus: +1 °C / +7bpm
Diese Wechselwirkung möchte ich selbstverständlich empirisch nachprüfen, sprich, in den verschiedensten Situation die Körpertemperatur messen und parallel dazu die Herzfrequenz notieren. Letztere Aufgabe ist gleichzeitig ein schönes Rhythmusspiel, nämlich den eigenen Pulsschlag (dank dieser Hilfskrücken) mit einer eindeutigen Tempozahl zu versehen – „inner clock“ wortwörtlich genommen, Achtsamkeit praktiziert. Meine Geschwindigkeitsmessung verifiziere ich wiederum mittels Smartphone und der Instant Heart Rate App.
Darüberhinaus spannend, die Frage: steht der persönliche Standard-Puls irgendwie in Relation mit favorisierten Tempi oder dem ad-hoc getrommelten Beat beim Soundcheck?
Ach ja, einen Apple Airtag habe ich nun auch. Jedoch nicht fürs Stickbag, sondern für den Schlüsselanhänger meines Vaters…
Gestern im Fieber dachte ich: Krass, was für ein Timing! Beinahe auf den Jahrestag genau erwischt mich der Corona-Virus ein zweites Mal. Und, so ein einziger Schlag pro Jahr erfordert doch eine neue Tempobezeichnung: 1 bpy (beat per year). Das ist mal richtig langsam und erinnert stark an das Konzept von John Cages Halberstadt-Orgel. Am Morgen jedoch bemerkte ich, dass ich mich um einen Monat verschätzt habe. Gut, 11/12 bpy klingt ohnehin mehr nach Cage…
Für all diejenigen, die ebenfalls im Bett liegen öffne ich die Link-Schatzkiste meines Rahmen-Buchs (denn irgendwie scheint beim Druck der auf den Pulli aufgebügelte QR-Code rausgewaschen worden zu sein, zumindest fehlt er leider auf dem Papier):
OK jetzt gibt es wohl wieder einige Zeit im Bett (leider auch kein Jazzfest mit Nils Wülker in Rottlweil für mich) und so werde ich mich zwei schönen Büchern zuwenden, die ebenfalls Gedrucktes und einen passenden Soundtrack im Netz verbinden: Einmal „Musik ist King„, das aktuelle Buch des geschätzten Schlagzeug-Kollegen Martell Beigang. Tatsächlich ließ ich mir die erste Hälfte von ihm (seinem Hörbuch auf Spotify) auf dem Flug nach Usbekistan vorlesen und zwar genau bis zu jener Episode, die ebenfalls in Zentralasien spielt. Unglaublich, aber ungelogen: im Augenblick, als Martell von Taschkent erzählt, setzte mein Flugzeug eben dort auf… Dort findest Du die komplette Spotify-Hörbuchversion, dank der sich unterschiedlichen Stationen von Martells Lebensweg immer mit der dazugehörigen Musik erleben lässt:
Das andere Werk trägt den vielversprechenden Titel „Bedroom, Beats & B-Sides“ und kommt von Laurent Fintoni. Sein Inhalt folgt keiner chronologischen Zeitleiste, sondern besteht aus 21 Kapiteln, die wie Mixtapes gestrickt sind. Jedes Kapitel ist nach einem Album benannt und in „sections“ unterteilt, die Bezug auf einen Track/Beat/Song nehmen.
>>The chapters in this book are intended to be the literary equivalent of beat tapes. If you don’t know what a beat tape is, to cut a long story short, they started life as a portfolio of musical sketches and ideas that hip-hop producers recorded to cassette and passed around to find work. Eventually, they became something else, a release format in their own right and a celebration of modern beat culture. Why beat tapes? Because beat tapes are an integral part of this story and because they’re supposed to just be a collection of ideas that can be stretched out into songs. They’re seeds. Bite-sized pieces. And that to me seemed like an ideal format for telling a lot of interlinked stories without going too deep into the weeds of everything. And also because beat tapes can be fun and books can sometimes feel so serious.<<
Glücklicherweise hat sich jemand die Mühe gemacht, eine passende Spotify-Liste zu erstellen. Von nun ab wird parallel gelesen und gehört, Im Spotify:
In der gestrigen taz gab es ein Gespräch mit Robert Lepenies über Künstliche Intelligenz, die nicht nur die Gesellschaft verändert, sondern auch das Lernen. Diese Positionen habe ich gleich mal abgeschrieben:
>>Was verändert denn ChatGPT? Erst mal macht es uns klar, wie falsch es ist, Bildung immer nur im Kontext von Prüfungen oder Seminararbeiten zu sehen. Wissen muss etwas sein, das die Welt voranbringt. Bringt uns diese Debatte hin zu mehr Praxisnähe, zum Ausprobieren, zum experimentellen Lernen? Das wäre toll. Ein reiner Fokus auf Hausarbeit oder Klausur als Maßstab für erfolgreiche Bildung – davon müssen wir uns befreien.<<
>>Eine Antwort ist eine Pluralität der Prüfungsformen. Wir müssen vom Auswendiglernen und Reproduzieren weg zur Anwendung, zur Transformation – der Welt und der eigenen Persönlichkeit.<<
>>… es [geht] vor allem darum, kritisches Denken zu vermitteln: Wer bekommt denn die ganzen Daten der Nutzenden? Woher kommen die Trainingsdaten für die KI? Welche Biases, also Verzerrungen sind da möglicherweise drin? Wie geht man damit um? Wie checken wir Quellen? Das alles macht einen noch nicht zum Gestalter, aber es schafft eine Digitalkompetenz. Und die ist die Basis zum Gestalten.<<
>>Geschichten, die ich so viele Male gehört habe, dass ich sie nicht mehr angehört habe, um zu erfahren, was passiert, sondern um dein Gesicht zu beobachten, während du sie wiederholtest. Ich wollte einen Unterschied im Erzählen einfangen.<<
Aha, was die KI so alles weiß: >>Oli Rubow is a German drummer known for his innovative and creative use of electronic drums in live performances. He has worked with a wide range of artists and bands, including Turntablerocker, De Phazz, and Hellmut Hattler. Rubow is also an author and educator, having written a book on incorporating electronic beats into live drumming performances. He has a strong following on social media and is regarded as one of Germany’s most prominent electronic drummers<<
>>About „Den Rahmen erweitern“, the new book written by author, musician and drummer @olirubow First of all: It definetely is a great book (not only for drummers)! Oli Rubow (OR) very clearly represents his idea of being truly open-minded and willing to experiment. This point really is very impressive because many musicians (including myself) know that this is not that easy and we often stick to the opinions, habits and ways of thinking we already have. Opening myself to something new and unknown always means to take the „risk“ to change to a new personality (which always is a little scary somehow). But OR with his positivity motivates the reader to let this happen. Of course, some chapters are talking about one of OR’s main topics (all kinds of „electronical“ way of making music and drumming) but also about different genres, history, instruments, equipment, learning, silence, philosophy and many more. Oli Rubows rulebreaking thinking and his ability to change the direction of thinking into a contrary way lets me think about another book that i did read some years ago, „Making Music“ by @dennisdesantis which i also can recommend to all musicians. Being structured in short chapters in alphabetical order which are titled by OR‘s tags and terms makes this book very comfortable and entertaining to read. Many chapters have some additional links which you can find either in OR‘s blog on http://www.e-beats.net or in a spotify playlist, which includes a huge amount of tracks. Aside from that, the small button „up to you“ in some of the chapters gives some short and clear advices for listening, thinking or simply practising. Everybody should try. OR‘s writing is sometimes detailed, sometimes short and simple, sometimes fun, sometimes philosophy – but always inspiring. „Den Rahmen erweitern“ is published by LEU-Verlag (www.leu-verlag.de) in 2023.<<
Übrigens, was die KI völlig übersehen hat: OR liebt den kalten Nachtisch. Gott sei dank hat die Eisdiele beim Proberaum wieder geöffnet!
Die aktuelle Drums & Percussion Ausgabe 3/2023 ist ein richtig schönes Osterei voller Überraschungen! Toll finde ich beispielsweise die Liste der zehn „bahnbrechenden“ Schlagzeugwerke der Neuen Musik (ein Fundus kreativer Ideen), den Nachruf auf Hans Behrendt, die Interviews mit Paul Albrecht und Terri Lyne Carrington, vor allem ihr aktuelles Gegengewicht zum männerdominierten Real Book: „New Standards: 101 Lead Sheets By Women Composers„ OK, last but not least auch diese zwei lesenswerte Tipps für die Ferientage:
Es regnet. Völlig egal, denn heute beginnt der Frühling, mein Buch ist da und im Steve Gadd Interview gibt’s den passenden Schnipsel zu meinen Rahmen-Erweiterungsstrategien!
Hier „von hinten, wie von vorne“:
Freue mich sehr über all die zahlreichen Bestellungen (und Spenden) und bin auf euer Feedback gespannt. Anyway, ich bleibe dran! Ganz konkret, am kommenden Sonntag gibt es in der Stuttgarter „Die Bar“ um 18 Uhr ein interdisziplinäres Happening zum Thema „Spirits“; Gespräche, Musik (von Fola Dada, Ralf Groher, Martin Meixner, Joscha Glass, OR) und die passenden Getränke!
Nochmals zurück zum Frühling. >>«Kreativität kann man nicht unterrichten», schreibt der Psychologe Peter Gray, «man kann sie nur erblühen lassen.»<< (Rutger Bregman „Im Grunde gut“, Seite 311)
Ich lese zur Zeit „Im Grunde gut“ (gerne zuhause auch mal den ein oder anderen Abschnitt laut vor). >>Der Historiker Rutger Bregman setzt sich in seinem Buch mit dem Wesen des Menschen auseinander. Anders als in der westlichen Denktradition angenommen ist der Mensch nicht böse, sondern, so Bregman, im Gegenteil: von Grund auf gut. Und geht man von dieser Prämisse aus, ist es möglich, die Welt und den Menschen in ihr komplett neu und grundoptimistisch zu denken. In seinem mitreißend geschriebenen, überzeugenden Buch präsentiert Bregman Ideen für die Verbesserung der Welt. Sie sind innovativ und mutig und stimmen vor allem hoffnungsfroh.<< (rowohlt)
Der Ansatz ist wohltuend, die Lektüre kommt zur richtigen Zeit und dennoch kann leider nicht alles immer auf Anhieb ideal funktionieren. Auch mein Verhalten ist immer wieder mal alles andere als gut. Aber ich versuche auf Lernkurve und Hand-reichen zu bauen. Und bezüglich Letzgenanntem erinnerte ich mich heute an die Muppet Show Folge, in der große Gonzo eine Kanonenkugel fängt (Episode 223 mit John Cleese). Manchmal ist so ein super langer Arm total geschickt, um auch die Hand von Zimmer zu Zimmer reichen zu können…