ausprobieren!

Oft habe ich von folgender Episode aus Anthony Bourdains Buch „Geständnisse eines Küchenchefs“ erzählt. Diese Austern-Geschichte hat (mir Fisch-und Meeresfrüchte Phobiker) die Erkenntnis beschert, dass der Mut zu Neuem mit einer hohen Chance eines Magic Moments belohnt werden kann. Seit dem probiere ich (fast) alles…

>>Und so kam es, dass ich begeistert war, als Monsieur Saint Jour, der Austernfischer, meine Familie auf seine pinasse (Austernboot) einlud. […]

Es waren, wie ich mich erinnere, noch etwa sechzig Zentimeter Wasserstand, ehe sich der Kiel des Bootes auf Grund legen würde und wir im parc herumgehen könnten. Wir hatten bereits den Brie und die Baguettes niedergemacht und das Evian ausgetrunken, aber ich hatte immer noch Hunger und sagte das typischerweise auch. Als Monsieur Saint-Jour das hörte, fragte er – und es klang wie eine Herausforderung – in seinem breiten Girondais-Akzent, ob einer von uns vielleicht eine Auster probieren wolle. Meine Eltern zögerten. Ich glaube nicht, dass ihnen klar war, dass sie tatsächlich eines dieser rohen schleimigen Dinger, über die wir gerade trieben, essen sollten. Mein kleiner Bruder machte einen entsetzten Satz rückwärts. Doch ich, im stolzesten Augenblick meines jungen Lebens, erhob mich, grinste voller Trotz und bot mich freiwillig an, als Erster zu probieren.

Und in diesem unvergesslich süßen Augenblick meiner ganz persönlichen Geschichte, diesem einen Moment, der für mich noch lebendiger ist als so viele andere erste Male – erste Muschi, erster Joint, erster Tag in der High School, erstes erschienenes Buch oder sonst etwas -, betrat ich die Ruhmeshalle. Monsieur Saint-Jour winkte mich rüber zur Reling, dann beugte er sich hinab, bis sein Kopf fast im Wasser verschwand, und tauchte wieder auf mit einer schlammverkrusteten Auster, riesig und unregelmäßig geformt, in seiner groben, klauenähnlichen Faust. Mit einem stumpigen, rostüberzogenen Austernmesser machte er das Ding auf und reichte es mir. Alle schauten wie gebannt, und mein kleiner Bruder wich zurück vor diesem glänzenden Objekt, das vage sexuell aussah, das triefte und fast lebte.

Ich nahm es in die Hand. Kippte die Muschel in meinen Mund, wie von dem inzwischen strahlenden Monsieur Saint-Jour angewiesen, und schlang das Zeug mit einem Bissen und in einem Schlürfer hinunter, Es schmeckte nach Seewasser… nach Salz und Fleisch … und irgendwie… nach Zukunft.

Alles hatte sich geändert. Alles.

Ich hatte nicht nur überlebt – ich hatte genossen.

Das war, wie mir schlagartig klar wurde, der Zauber, der mit bisher nur schwach und verschwommen bewusst gewesen war. Ich hing am Haken. Das Erschaudern meiner Eltern, das hemmungslos angewiderte und erstaunte Gesicht meines Bruders bestärkten nur noch das Gefühl, dass ich, irgendwie, zum Mann geworden war. Ich hatte ein Abenteuer erlebt, verbotene Frucht gekostet, und alles, was dann in meinem Leben folgte – das Essen, die lange und oft selbstzerstörerische Jagd nach etwas Neuem, ob es dabei um Drogen oder Sex oder sonst etwas Aufregendes ging -, das alles sollte seine Wurzeln in diesem Augenblick haben.

Ich hatte etwas gelernt. Mit dem Bauch, instinktiv, spirituell, ein Hauch davon war sogar sexuell -, und es gab kein Zurück.

Der Geist war der Flasche entflohen. Mein Leben als Koch, als Chefkoch, hatte begonnen.

Essen hatte Macht.

Es konnte inspirieren, erstaunen, schockieren, erregen, entzücken und beeindrucken. Es hatte die Macht, mich zu erfreuen… und andere auch. Das war eine wichtige Erkenntnis.<<

Eine Antwort to “ausprobieren!”

  1. Bummzack! | E-BEATS Says:

    […] Ausprobieren halt, wie so oft. […]

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